Redebeitrag am 18.03

Unser Redebeitrag auf der WirsindalleLinX-Kundgebung am internationalen Tag der politischen Gefangenen.

Vorweg, wir sind nicht für die Freiheit von politischen Gefangegen. Als Anarchist*innen sind wir für die Freiheit von allen Gefangenen. Wir finden, dass alle Gefangenen aus politischen Gründen ihre Freiheit verloren haben, da sie in einem System aufgewachsen sind, dass sie in Armut dahinvegetieren oder täglich ausbeuten lässt. Alle Gefangenen sind in dieser Gesellschaft sexistisch, antisozial und gewaltätig sozialisiert worden. Und anstatt Menschen mit Bildung, Psychotherapien und sozialer Sicherheit zu helfen, werden sie weggesperrt und mit Gewalt diszipliniert. Wir sind daher nicht nur für die Freiheit einzelner Genoss*innen, sondern für die Freiheit aller Gefangenen! Trotzdem ein Beitrag von uns zum Kampf des italienischen Anarchisten Alfredo Cospito, dem vorgeworfen wird durch Artikel in Zeitschriften “Befehle erteilt zu haben”.


Seit Oktober 2022 ist der italienische Anarchist Alfredo Cospito im Hungerstreik. Verurteilt für bewaffnete Aktionen gegen die Polizei und einen Atomkraftwerkschef, sitzt er seit 10 Jahren im Gefängnis. In der Zeit war Alfredo aktiver Teil der anarchistischen sogenannten “Schwarzen Internationale”, einer anarchistischen Vernetzung. Er trägt mit Beiträgen  zu einem anarchistischen, internationalen Angriff auf die Herrschaft bei. Diese koordinieren sich durch Bekenner*innenschreiben und inspirieren sich gegensseitig. Dies hat enorm zur Diskussion in den anarchistischen Milieus beigetragen. 

Dem italienischen Staat hat die Rache für Alfredos Taten nicht gereicht. Das  Problem waren schon immer die aufständigen Ideen  hinter seinen Taten. Und für diese soll Alfredo mit der Anwendung des 41-bis Regimes bestraft werden. Dieses Regime wurde ursprünglich eingeführt, um Gefängnisaufstände zu bekämpfen. Es bedeutet Einzelhaft in kompletter Isolation. Kein Kontakt zu Mitgefangenen, keine Arbeit und nur überwachter Besuch ist erlaubt. Es gibt nichts außer einen einzigen kleinen Raum, indem man niemals mit jemandem zusammen ist, aber auch nie alleine. Jedes  Treffen, jeder Brief und jeder Gedanke im Bett werden kontrolliert. Vor allem gibt es keine Chance je wieder rauszukommen. Die sogenannte “demokratische” Gesellschaft begräbt einen lebendig.

Dagegen kämpft Alfredo mit allem was er noch hat: seinem Körper. Über 100 Tage im Hungerstreik haben ihre Spuren hinterlassen und es sieht nicht gut um seine Gesundheit aus. Draußen formiert sich eine beeindruckende Kampagne, um Alfredos Leben zu retten. Auf der ganzen Welt werden Solidaritätsdemonstrationen veranstaltet, es brennen Diplomatenautos und es werden Bomben auf Gerichte geworfen. Auch in Leipzig haben sich einige Autos und Scheiben der Kampagne angeschlossen. Dazu kommt, dass weltweit in den Knästen andere Gefangene dem Hungerstreik beigetreten sind und sich mit Alfredos Kampf solidarisieren. Trotzdem wird es wahrscheinlich nicht reichen. Der Staat hat sich entschieden und Alfredo auch. Beide sind bereit bis zum Ende zu gehen. Im folgenden wollen wir die vielleicht letzten öffentlichen Worte unseres Gefährten auszugsweise vorlesen, auch wenn wir alles versuchen werden, dass sie es nicht sind:

“Mein Kampf gegen das 41bis Regime ist der individuelle Kampf eines Anarchisten, ich gebe oder empfange keine Anweisungen. Ich kann einfach nicht unter einem unmenschlichen Regime leben, wie es 41bis bedeutet, wo ich nicht frei lesen kann, was ich will, Bücher, Zeitungen, anarchistische Zeitschriften, Magazine für Kunst und Wissenschaft sowie Literatur und Geschichte. Die einzige Möglichkeit, dem Regime zu entkommen, besteht darin, meine Identität als Anarchist aufzugeben und sie an jemand anderen zu verkaufen, der meinen Platz einnimmt. Ein Regime, in dem ich keinen menschlichen Kontakt haben kann, in dem ich keine Handvoll Kräuter pflücken oder einen geliebten Menschen umarmen kann. Ein Regime, in dem die Fotos unserer Eltern geraubt werden. Lebendig begraben in einer Gruft, an einem Ort des Todes. Ich werde meinen Kampf bis zum Äußersten fortsetzen, nicht wegen einer „Anklage“, sondern weil dies kein Leben ist.


Die größte Beleidigung für einen Anarchisten ist es, wenn man ihm vorwirft, Befehle zu erteilen oder entgegenzunehmen. Als ich unter dem Regime der Hochsicherheitsüberwachung einsaß, herrschte Zensur in jeder Hinsicht, und doch habe ich nie einen geschickt, sondern Artikel an anarchistische Zeitungen und Zeitschriften. Vor allem, weil ich frei war, Bücher und Zeitschriften zu erhalten, frei, Bücher zu schreiben und zu lesen, was ich wollte… ich durfte leben.


Heute bin ich bereit zu sterben, um die Welt wissen zu lassen, was 41bis wirklich ist. 750 Menschen leiden darunter, ohne darüber zu sprechen, und werden von den Massenmedien ständig zu Monstern gemacht. 
Nun… sie werden noch einmal darüber nachdenken müssen, bevor sie einen Anarchisten hier reinstecken. Ich weiß nicht, welche wahren Beweggründe oder politischen Manöver dahinter stecken. Und aus welchem Grund jemand mich als „vergifteten Apfel“ in diesem Regime benutzt hat. Es war ziemlich unmöglich, meine Reaktionen auf dieses „Nichtleben“ nicht vorherzusehen. Der italienische Staat ist ein würdiger Vertreter der Heuchelei des Westens, der dem Rest der Welt ständig Lektionen in Sachen „Moral“ erteilt. Der 41bis hat Lehrstunden erteilt, die von „demokratischen“ Staaten wie der Türkei (wie unsere kurdischen Freunde wissen) und Polen sehr gut genutzt werden.Ich bin überzeugt, dass mein Tod ein Hindernis für dieses Regime sein wird und dass die 750 Menschen, die jahrzehntelang unter ihm gelitten haben, ein lebenswertes Leben führen können, unabhängig davon, was sie getan haben.
Ich liebe das Leben, ich bin ein glücklicher Mensch, ich würde mein Leben mit niemandem tauschen wollen. Und gerade weil ich es liebe, kann ich dieses hoffnungslose Nicht-Leben nicht akzeptieren.
Ich danke euch, Genossen, für eure Liebe.
Immer für die Anarchie,niemals gebeugt.
Alfredo Cospito”