Scheisze! Ich bin in einer Blockade
Verbreitet die Broschüre gerne bei jeder Anti-Nazi-Demo in eurer Stadt. Kauft sie auf Kosten eueres lokalen StuRa (Student*innen-Rats), Rote Hilfe Gruppe, antifaschistischen Bündnisses, Linken- oder Grünen- Partei Büros. Geht einfach hin und fragt. Wir sehen auf Blockaden leider viel zu oft Menschen mit Handys, schlechten Vermummungen und viel zu viel Angst. Wir wollen mit dieser Broschüre endlich etwas dagegensetzen und widerständiges Wissen weitervermitteln. Schreibt uns, wenn etwas fehlt oder ihr Kritik habt. Wir haben uns bewusst entschieden einige Sachen (wie Knasttestament, Einsatz von Handschuhe usw.) wegzulassen, um Menschen nicht abzuschrecken, die nur friedlich blockieren wollen und sie nicht mit Informationen zu überfluten.
Ihr sitzt gerade in einer Blockade oder seid (gedanklich) auf dem Weg zu einer? Dann habt ihr jetzt die richtige Broschüre in der Hand. Also holt kurz tief Luft und macht euch bewusst: Ihr blockiert Nazis und das ist richtig. Ihr sorgt dafür, dass sie sich nicht versammeln, um Jagd auf Menschen zu machen oder eine Ideologie zu verbreiten, die genau das propagiert. Ihr werdet oft nur für Nötigung angeklagt. Haftstrafen für friedliche Blockaden sind bisher nicht bekannt. Oft enden Verfahren in Einstellungen oder geringen Geldstrafen, die häufig in Sozialstunden umgewandelt werden können. Anfallende Kosten werden in der Regel von euren lokalen Anti-Repressionsgruppen übernommen.
Gliederung
1. Vor der Demo
2. Bezugsgruppe
3. Vermummung
4. Vorkontrollen
5. Durchbrechen
6. In der Blockade
7. Fuck! Festnahme
8. ED-Behandlung
9. Gedächtnisprotokoll
1. Vor der Demo
Was ihr am besten zuhause lassen solltet: Handys (Außer anonym gekaufte Handys mit bereits vorregistrierten Sim-Karten), Kameras (Aufnahmen nutzen nur den Cops und Faschos. Überlasst das linken Fotograf*innen, die sensibel mit ihren Fotos/potentiellen Beweisen umgehen; sprich Speicherkarten verschlüsseln, Gesichter und Schuhe verpixeln, Metadaten löschen usw.), Adressbücher, Waffen (Pfefferspray und Springerstiefel/Boots mit Stahlkappen zählen auch dazu), Schmuck (Erhöht die Verletzungsgefahr), Schminke und Kontaktlinsen (CS-Gas und Pfefferspray haften an Schminke und können sich unter den Kontaktlinsen festsetzen).
Was ihr auf jeden Fall mitnehmen solltet: Schlüssel, Personalausweis, Krankenkassenkarte, Bahnticket/-karte, Kleingeld (für Verpflegung), Regenschirm (zählt theoretisch nicht unter Vermummung), evtl. für euch notwendige Medikamente, Edding (um sich das Gesicht zu bemalen vor einer ED-Behandlung), Demo-Karte, Telefonnummer des EA (Ermittlungsausschuss) auf den Arm schreiben (in Leipzig: 0341/2119313). Und schreibt euch auch den Namen des Treffpunktes euer Bezugsgruppe auf, wenn ihr in einer fremden Stadt seid.
Nehmt am besten extra Demo-Rucksäcke, die ihr für nichts anderes verwendet, um nicht aus Versehen doch problematische Sachen mitzunehmen.
2. Bezugsgruppe
Bildet vor der Demo Bezugsgruppen (“affinity groups”). Eine Bezugsgruppe besteht aus Personen, denen ihr vertraut und die eine ähnliche Einstellung und Aktionsbereitschaft wie ihr besitzen. Die Menschen können aus eurer Schule, Uni, Arbeit, Politgruppe oder WG sein. Der wichtige Punkt dabei ist Vertrauen. Tauscht euch dafür über eure politischen Standpunkte, Ängste und Ziele aus. Benutzt einen zufälligen, immer neuen und leicht verständlichen Bezugsgruppennamen für die Demo und überlegt euch individuelle Fake-Namen die ihr ruft, wenn ihr euch verliert. Demo-Cops, Tatbeobachter*innen, V-Personen und evtl. sogar Faschos sind um euch herum und versuchen jede Information zu verwerten. Ihr müsst aber auch die echten Namen und Geburtsdaten eurer Bezugsgruppe kennen, um diese bei Verhaftungen dem Ermittlungsausschuss, der Roten Hilfe und Anwält*innen zu sagen.
Seid auf der Demo am besten zu zweit unterwegs, dadurch müsst ihr nicht auf alle aufpassen und nur mit einer Person schnelle Entscheidungen über Aktionen treffen. Seid niemals allein auf einer Demo, weder beim Hin- noch Rückweg. Verhaftungen und Überfälle können immer, auch grundlos, passieren. Ihr könnt euch bei Großanreisen mit vielen Menschen zusammen in einen DB-Wagen quetschen und an der Tür Schaffner*innen nicht durchlassen, um den Ticketkauf zu umgehen. Macht sofort nach der Demo an einem ruhigen Ort im Freien ohne Handys Nachbesprechungen. Übt dabei konstruktive Kritik, redet über erlebte Ängste und was das nächste Mal besser klappen kann.
3. Vermummung
Geht am besten in “normalen” unauffälligen Outfit zur Demo, um Vorkontrollen zu vermeiden. Kleidet euch dafür am besten farbig und vor allem so, dass ihr euch wohl fühlt. Im Gegensatz zu Schlauchschals und Sturmhauben sind T-Shirts, Schals und FFP2 Masken bei öffentlichen Versammlungen nicht strafbar. Um eine Identifikation so schwer wie möglich zu machen, sollten eure Klamotten keine Marken, Logos und Aufnäher haben (ja, auch keine Mobaction-Sternchen!). Klebt diese notfalls mit schwarzem Gaffa-Tape ab oder näht schwarzen Stoff drüber. Tragt weite Klamotten, die keine Rückschlüsse auf euer Geschlecht oder Gewicht zulassen. Je anonymer ihr ausseht, desto mehr helft ihr anderen Personen unerkannt zu bleiben und in der Masse unterzugehen. Überlegt euch, wann schwarze Klamotten und Vermummung sinnvoll sind. Es bringt nichts, wenn ihr dadurch negativ auffallt, beispielsweise in einem (Wander-)Kessel oder einer friedlichen Gedenkdemonstration.
4. Vorkontrollen
Vorkontrollen/Personalienfeststellungen sollen einschüchtern. Gebt nur euren (Geburts-)Namen, (Melde-)Adresse, Familienstand (ledig, verheiratet, verwitwet), Staatsangehörigkeit und allgemeine Berufsbezeichnung (Angestellte*r, Schüler*in, Student*in, Beamt*in) an. Die Angabe eines genauen Arbeitsortes kann zu unangenehmen Anrufen & Besuchen durch Cops, also zu Repression, führen. (Zum einfachen Merken: Sagt den Cops nur die Dinge, die auf eurem Ausweis stehen).
Bei Verweigerung der Personalienfeststellung erfolgt auf jeden Fall eine ED-Behandlung und ihr werdet eventuell auf der nächsten Wache festgehalten, damit die Cops eure Identität herauszufinden. Die Gesetze und Praxis dazu sind in jedem Bundesland anders. Macht dies am besten nur bei abgesprochen Massenaktionen mit tausenden Teilnehmer*innen, da ihr ansonsten wegen geringfügiger Geldstrafen tagelang in U-Haft bleibt und eure DNA abgenommen wird.
5. Durchbrechen
Okay, ihr habt es auf die Demo geschafft. Im besten Fall gibt es vorher kommunizierte Blockadepunkte, an denen Menschen sich einfach sammeln können. Falls dies nicht der Fall ist, hier ein paar Tipps zum Durchbrechen. Schaut euch vorher genau die online hochgeladenen Aktionskarten an und bringt diese mit. Guckt wo eure Demo gleich zu Beginn möglichst nah an der Naziroute vorbei geht. Versucht dort auszubrechen. Sprecht das spätestens bei der Anreise ab. Schaut wo die Cops Lücken lassen und versucht da durchzurennen. Wenn keine großen Lücken existieren, können auch welche provoziert werden, indem ihr versucht, um die Bullenkette herumzugehen oder vermeintlich aussichtslose Versuche startet. Häufig reagieren Cops darauf und es entstehen Lücken. Damit also Ausbrüche und Blockaden klappen, müsst ihr auch loslaufen, wenn andere Personen anfangen durchzubrechen. Ihr müsst in dem Moment eure Angst überwinden und auf eure Bezugsgruppe vertrauen. Lasst niemanden allein! Rauchtöpfe können in solchen Momenten helfen zusätzliche Verwirrung zu stiften.
Wenn größere Gegenstände auf der Straße liegen, können euch Cops nicht einfach mit ihren Autos verfolgen. Ihr begeht dabei aber potenzielle Straftaten, wie Sachbeschädigung oder Landfriedensbruch. Oftmals funktioniert dies aber. Ihr habt immer einen freien Willen und den müsst ihr nutzen. Wenn ihr merkt, dass alle in die falsche Richtung rennen, Macker dumme Ansagen machen oder sinnlose unbestätigte paranoide Infos verbreitet werden, traut euch laut etwas dagegen zu sagen. Wir sind alle nur so schlau, wie das lauteste Glied.
6. In der Blockade
Ihr habt es geschafft, ihr seid auf der Naziroute! Macht euch nun darauf gefasst, dass euch kalt werden kann (abhängig von der Jahreszeit) und ihr Angst bekommt, wenn das Adrenalin nachlässt. Es kann gut sein, dass ihr jetzt mehrere Stunden auf dem Boden sitzen müsst. Wenn nicht akut Räumungsgefahr besteht, könnt ihr auch herumlaufen. Die Cops werden versuchen euch auf verschiedenste Weisen zu verunsichern. Das Kommunikations-Team wird “Guter Bulle” spielen und euch Verständnis vortäuschen. Sie werden aber trotzdem versuchen euch zu vereinzeln und eine subtile Bedrohungslage zu schaffen mit dem Hinweis, dass ihr “eine Straftat begeht”. Wenn sie kommen, ruft gemeinsam “Halt die Fresse”. Cops mit martialischer Ausrüstung, Scheinwerfern und evtl. sogar Hundestaffeln, Wasserwerfern und Pferden könnten euch ebenfalls umzingeln, um euch einzuschüchtern. Es wird immer wieder Durchsagen geben, um euch zu demotivieren und zu bedrohen. Lasst euch nichts einreden, ihr könnt niemals auf die Polizei vertrauen.
Sobald ihr den Ort verlasst, ist eine Festnahme sehr wahrscheinlich. Allein, dass sie mit euch kommunizieren zeigt, dass sie nicht genügend Kräfte haben, um alle Blockaden sofort zu räumen. Macht euch bewusst, dass ihr nur eine absolut geringfügige Straftat begeht, für die ihr im schlimmsten Fall ein paar Stunden in der Gesa (Gefangenensammelstelle) sitzt und im Nachgang maximal ein paar Sozialstunden bekommt. Bleibt ruhig und verlasst die Blockade nur wenn von externen Quellen (Demo Lautsprecher oder sicheres Handy mit Twitter) bestätigt wird, dass die Nazis abreisen. Ihr könnt euch vermummen, wenn Fotos gemacht werden und wenn die Cops nicht zu sehr stressen. Da ihr dadurch aber eine Straftat begeht und keine Möglichkeit zur Flucht besteht, raten wir eher dazu sich wegzudrehen, die Hand vors Gesicht zu halten oder den Kopf zu senken.
Es gibt, trotz aller Erfolge der Taktik, aber auch Kritik am Konzept der Sitzblockade: Nicht alle Menschen haben Lust darauf, durch das Hinsetzen alle Möglichkeiten aufzugeben, sich vor potenzieller Gewalt durch Faschos oder Cops zu schützen und den Selbstschutz in die Hände des Staates zu legen. Menschenketten oder schwer räumbare (aka brennende) Gegenstände auf der Aufzugsstrecke (und in den Seitenstraßen) können ebenfalls effektive Blockaden darstellen. Bei solchen Aktionen bleibt die Möglichkeit erhalten, sich gegen Nazis und Cops zu wehren oder zumindest rechtzeitig wegzurennen. Nur das Zusammenspiel verschiedenster Aktionsformen sorgt dafür, dass wir unberechenbar bleiben und dadurch Erfolg haben.
Ähnliches gilt für die Strategie Blockaden als “Sitzversammlungen” bei der Versammlungsbehörde anzumelden. Immer wieder kam es zu Identitätsfeststellungen und Repression gegen Antifaschist*innen nach angemeldeten Sitzversammlungen, auch wenn die Cops zuvor etwas anderes behaupteten. Am Ende wird eh geräumt, außer wir sind so viele, dass es für die Cops zu aufwändig und gefährlich wird. An diesem Kräfteverhältnis ändert weder die Anmeldung noch Nichtanmeldung der Blockade etwas, sondern nur unsere Anzahl und Entschlossenheit.
7. Fuck! Festnahme!
Nennt/Schreit euren Namen und Geburtsdatum einer anderen (im Zweifel auch fremden) Person zu, damit diese dem EA gemeldet werden können. Der EA oder die Rote Hilfe kann dann Druck bei der Polizei machen, eine Kundgebung vor der Wache anmelden und euch solidarische Anwält*innen schicken. Anna und Arthur halten ab jetzt das Maul. Kein Wort, weder zu Mitgefangenen noch zu Cops. Klärt andere Mitgefangene maximal über deren Rechte auf. Verlangt immer einen Anruf und ruft dann den EA an. Nennt am Telefon nur euren Namen und was euch vorgeworfen wird. Macht KEINE weiteren Angaben. Unterschreibt nichts: Weder Vernehmungsprotokolle, Liste aller Gegenstände, die bei euch gefunden wurden noch sonst irgendwas. Ihr seid zu nichts verpflichtet und euch müssen all eure (nicht-illegalen) Gegenstände wieder ausgehändigt werden. Festnahmen dienen oft nur zur Durchsuchung, Einschüchterung, Stellen einer Strafanzeige und ED-Behandlung. Nach 48 Stunden müsst ihr einem*r Haftrichter*in vorgeführt werden, damit diese*r über eine eventuelle U-Haft entscheidet (was wie gesagt, sehr unwahrscheinlich ist). Versucht euch zu entspannen und das Beste aus der Situation zu machen. Gesa-Zellen sind mit Absicht schmutziger als alle anderen Zellen. Versucht eher selbstbewusst zu wirken, damit die Cops das Gefühl bekommen ihre Zeit zu verschwenden.
8. ED-Behandlung
Abgefragt und abgenommen werden euch: Vorname, Familienname, Geburtsdatum, Wohnort, andere Daten aus Ausweisen und Reisepässen, Fotos von Körpergröße, Körpergewicht, besonderen körperlichen Merkmalen (wie Narben, Tätowierungen) und unter Umständen auch Fingerabdrücke aller zehn Finger sowie Abdrücke beider Handflächen. Es besteht keine Mitarbeitspflicht: Ihr müsst nicht laufen für ein Bewegungsprofil und nicht sprechen damit eure Stimme aufgenommen werden kann. Legt immer einen Widerspruch ein, lasst diesen protokollieren, aber unterschreibt wieder nichts. Ihr könnt bei den Fotos Grimassen schneiden, um mögliche Identifikationsversuche der Bullen bei künftigen Aktionen zu erschweren. Wenn ihr bei der Festnahme schnell seid, könnt ihr euer Gesicht zusätzlich mit dem mitgenommenen Edding bemalen. Wichtig: Ein DNA-Abstrich geht nur mit richterlicher Genehmigung. Verlangt diese immer! Oftmals habt ihr Glück und es ist auf die Schnelle kein*e Richter*in erreichbar.
9. Gedächtnisprotokoll
Schreibt ein Gedächtnisprotokoll nach der Festnahme. Haltet dort Ort, Zeit und Art (Festnahme, Prügelorgie, Wegtragen) des Übergriffs fest. Schreibt die Namen der Betroffenen, Zeug*innen, sowie Anzahl, Diensteinheit und Aussehen der Bullen auf. Beschreibt keine eigenen oder fremden Straftaten.
Die Broschüre wurde erstellt von der Offenen Anarchistischen Vernetzung Leipzig (OAV).