Was tun bei Ermittlungsverfahren?
Wenn du in Kontakt mit der Polizei gekommen bist, kann ein sogenanntes Ermittlungs- oder Vorverfahren eingeleitet werden. Das bedeutet erst einmal nur, dass es den Anfangsverdacht gibt, dass du eine angebliche Straftat begangen haben könntest. Nach Ende des Ermittlungsverfahrens wird das Verfahren entweder eingestellt oder von der Staatsanwaltschaft Klage erhoben. Deshalb ist es besonders wichtig, dass du Polizei und Staatsanwaltschaft nicht hilfst, ihnen keinerlei Infos gibst, denn sie haben ein Interesse daran, dass es zur Anklage kommt und werden jede Info gegen dich verwenden. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens kann es sein, dass die Polizei dich einlädt, dich um schriftliche Stellungnahme bittet oder dich zu Hause besucht.
Du bist nicht verpflichtet, bei der Polizei auszusagen oder einer polizeilichen Vorladung Folge zu leisten, auch wenn das im Schreiben suggeriert wird. Wenn es etwas klarzustellen gibt, kannst du das vor Gericht tun
1. Vorladungen
Oft vergehen Wochen oder Monate, bevor sich die Repressionsorgane wieder bei dir melden. Normalerweise bekommst du Post von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Selten rufen sie dich auch an. Wichtig: Geh auf keinen Fall zu einer Vorladung der Polizei, egal, ob du Zeug*in oder Beschuldigte*r bist. Es wirkt in den Briefen auf den ersten Blick, als müsstest du hingehen und als würde dir das etwas bringen. Beides ist falsch. Es gibt keine Verpflichtung hinzugehen und keine negativen Folgen, wenn du nicht hingehst. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Entlastung ist bei der Polizei nicht möglich. Deine Aussagen führen nur dazu, dass es mehr Anhaltspunkte im Ermittlungsverfahren gegen dich oder andere gibt. Getroffene Aussagen sind selbst mit der*m besten Anwält*in nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Wende dich bei Vorladungen an deine lokale Antirepressionsstruktur. Sie vermittelt dir auch Anwält*innen und hilft bei der Entscheidung, ob du diese schon frühzeitig kontaktieren sollst, um zum Beispiel Akteneinsicht zu beantragen oder unter Umständen eine Einstellung erwirken zu können. Auf keinen Fall aber ist eine Vorladung Grund, in Panik zu geraten, plötzlich einer*m Anwält*in mehr zu trauen als den eigenen politischen Überzeugungen oder auf einen „Handel“ mit der Staatsgewalt zu spekulieren! Hier gilt wie immer: Ruhe bewahren! Klappe halten! Widerstand organisieren! Bisher war der Repressionsapparat immer eher bereit, seine Verfolgung zurückzunehmen, wenn in einem Fall großer öffentlicher Druck aufgebaut wurde, als wenn die Verfolgten sich einschüchtern und isolieren ließen!
2. Beratungshilfeschein
Beim Amtsgericht deines Wohnorts kannst du bei geringem Einkommen einen Beratungshilfeschein beantragen. Mit dem kostet dich die Erstberatung bei einer*m Anwält*in maximal 15 Euro. Du musst einen Einkommensnachweis, den Mietvertrag, einen Mietzahlungsnachweis und andere Dokumente für Zahlungspflichten (z. B. Unterhalt für Kinder) und die behördlichen Unterlagen zum Ermittlungsverfahren vorlegen. Allerdings kann ein*e Anwält*in im Rahmen der Beratungshilfe in aller Regel nur allgemeine Hinweise geben, weil keine Akteneinsicht davon umfasst ist. In den Bundesländern Bremen und Hamburg gibt es statt der beschriebenen Beratungshilfe die Stellen der öffentlichen Rechtsberatung. Wenn du „zu viel“ Geld hast oder verdienst, dann erhältst du keinen Beratungshilfeschein. Natürlich kannst du dich trotzdem an eine*n Anwält*in wenden. Für die Beratung fällt dann jedoch die Rechtsanwaltsgebühr in Höhe der Grundgebühr an. Die genaue Höhe kann einfach vor dem Gespräch erfragt werden.
3. Strafbefehl
Statt einer Anklageschrift kann dir als Beschuldigte*r auch ein sog. Strafbefehl ins Haus flattern. Das ist ein Urteil ohne Verhandlung! Leg dagegen innerhalb von zwei Wochen einen Einspruch ein: „Hiermit lege ich Einspruch gegen den Strafbefehl mit dem Aktenzeichen … ein“. Damit gewinnst du Zeit, dich zu informieren. Den Einspruch brauchst und solltest du nicht begründen. Wichtig ist nur, dass du die Zweiwochenfrist einhältst, sonst wird der Strafbefehl rechtskräftig! Tipp: Es ist wichtig, dass dein Einspruch nachweislich das Gericht erreicht. Das funktioniert zum einen gut per Fax. Ein Fax-Bericht, den das Fax – möglichst mit Abdruck der ersten Seite – nach dem Senden ausdruckt, vermerkt mit Datum und Uhrzeit, ob das Schreiben an die korrekte Nummer übersandt wurde. Er ist deshalb ein guter Nachweis. Zum anderen kann der Einspruch auch rechtzeitig vorher per Einschreiben-Rückschein zugesandt werden oder mit Zeug*in abgegeben werden. Solltest du den Einspruch wegen Abwesenheit nicht fristgerecht einlegen können, musst du dich sofort nach deiner Rückkehr beim Gericht melden, Einspruch einlegen, deine Verspätung begründen und die Gründe nachweisen. Damit kannst du die sog. „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“ erreichen. Das ist bei ungeplanten Krankenhausaufenthalten einfach, Vorsicht jedoch bei (längerem) Urlaub. Da wird häufig erwartet, dass Vorkehrungen für den Empfang von behördlicher Post getroffen werden. Tipp: Falls du während deiner Abwesenheit mit unerwünschter Post von Repressionsorganen rechnen musst, dann bitte einen vertrauenswürdigen Menschen aus deinem Umfeld, sich darum zu kümmern. Im Fall eines Strafbefehls kannst du einen Einspruch vorbereiten, sodass nur noch das Aktenzeichen und das Datum per Hand eingetragen und der Brief verschickt werden müssen. Nimm nach Erhalt eines Strafbefehls sofort Kontakt zum EA, der Roten Hilfe oder einer anderen Antirepressionsstruktur auf. Gemeinsam könnt ihr überlegen, ob es sinnvoll ist, eine*n Anwält*in einzuschalten. Nimmst du den Einspruch nicht zurück, kommt es zu einem Gerichtsprozess mit Verhandlung, wobei der Strafbefehl die Anklageschrift ist. Ein Einspruch kann bis zum Prozess jederzeit zurückgenommen werden. Allerdings können bei Rücknahme erst unmittelbar vor oder während der Verhandlung zusätzliche Kosten anfallen. In der Verhandlung ist zudem die Zustimmung der Staatsanwaltschaft nötig. Von daher ist es sinnvoll, nach Akteneinsicht und zeitlich spätestens eine Woche vor der Verhandlung nochmals mit deiner Rechtshilfestruktur und Strafverteidiger*in durchzusprechen, ob der Einspruch aufrechterhalten wird. Für mehr Infos zum Strafbefehl empfehlen wir den Flyer der Roten Hilfe
4. Aussageverweigerung als Beschuldigte*r oder Angeklagte*r
Als Beschuldigte*r im Ermittlungsverfahren oder als Angeklagte*r im Strafprozess hast du das Recht, die Aussage zu verweigern. Das solltest du zu Beginn des Verfahrens auf jeden Fall tun. Sag nie ein Wort „zur Sache“, egal ob bei Festnahme, Hausdurchsuchung oder Verhör! Einer staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Vorladung musst du Folge leisten. Das heißt, du musst erscheinen, aber du musst nichts sagen. Ob du im Prozess eine Erklärung, „politisch“, „zur Sache“ oder auch gar nicht abgeben willst, kannst du immer noch in Ruhe mit deinen Genoss*innen, der Roten Hilfe, dem EA und deiner*m Anwält*in besprechen.
5. Aussageverweigerung als Zeug*in
Als Zeug*in ebenfalls kein Wort zu Polizei oder Staatsanwaltschaft! Auch hier gilt: Folge nicht einer Vorladung der Polizei. Im Unterschied dazu: Einer Ladung zur Vernehmung durch die Polizei, welche im Auftrag der Staatsanwaltschaft erfolgen kann, musst du Folge leisten, sonst kannst du festgenommen oder dir Geldstrafen auferlegt werden. Schau dir also genau an, wer dich vorlädt! Auch einer Vorladung durch eine*n Richter*in oder direkt durch die Staatsanwaltschaft musst du Folge leisten, da bei Verweigerung ebenfalls die erwähnten Zwangsmaßnahmen drohen.
Zu Beginn des Ermittlungsverfahrens, bevor du dich mit Beschuldigten, Prozessgruppe, Roter Hilfe, Anwält*innen usw. besprochen hast, ist jede Zeugenaussage falsch und schädlich für dich und für andere. Da solltest du auf jeden Fall deinen Mund halten, egal womit sie dir drohen oder was sie dir versprechen. Es gibt in dieser Phase keine „Entlastungs-“ oder „harmlosen Aussagen“! Die Aussageverweigerung ist das einfachste und schnellste Mittel, aus der Mühle wieder herauszukommen.
Wirst du später als Zeug*in von der Staatsanwaltschaft oder zum Gericht geladen, solltest du dich genau mit den anderen Beteiligten, vor allem mit der*m Angeklagten, beraten, was welche Aussage von dir bewirken kann. Da die Justiz in politischen Prozessen immer mehr bezweckt als die Überführung und Verurteilung Einzelner, nämlich das Ausforschen von Strukturen, Entsolidarisierung durch Herausgreifen Einzelner, Spalten durch Fordern von Unterwerfungsgesten usw., ist oft auch im Gerichtsprozess das einzig richtige Verhalten als Zeug*in die konsequente Aussageverweigerung. Jede vermeintlich entlastende Zeug*innenaussage kann Strukturen offenbaren und Genoss*innen belasten. Als Zeug*in besteht grundsätzlich kein Zeugnisverweigerungsrecht. Lediglich in Fällen, in denen du dich selbst oder eine*n Angehörige*n, hierzu zählt auch die*der Verlobte, belasten könntest, hast du nach § 55 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht. Eine dadurch nicht gedeckte Aussageverweigerung kann mit Ordnungsgeld und Beugehaft bestraft werden. Wir empfehlen dir, dass du dich im Fall einer erzwungenen Zeug*innenaussage bei einer Antirepressionsstruktur wie der Roten Hilfe und dem EA meldest und/ oder eine*n Anwält*in beauftragst, dich zu unterstützen.
6. Aussageverweigerung wegen Selbstbelastung
Beim Aussageverweigerungsrecht (§ 55 StPO) hast du als Zeug*in das Recht, Fragen nicht zu beantworten, wenn du dich selbst oder eine*n Angehörige*n belastest oder belasten könntest. Das kann eine Möglichkeit sein, um einer drohenden Beugehaft zu entgehen. Um das Recht auf Aussageverweigerung zu haben, musst du begründen, warum du die Frage nicht beantworten willst. Mit dieser Begründung sagst du meist so viel aus wie bei einer Aussage und lieferst der Gegenseite weitere Infos. Außerdem gibt es immer Fragen, die eine Selbstbelastung ausschließen. Bist du erst im Redefluss, hat die Praxis gezeigt, dass niemand mehr in dieser Situation eine Grenze ziehen kann. Außerdem lieferst du mit deiner Aussage die von der Justiz geforderte Unterwerfungsgeste und trägst zur Spaltung innerhalb der Gruppe der Zeug*innen und Angeklagten bei. Eine gemeinsame Prozessstrategie ist dann meist nicht mehr möglich. Daher warnen wir nachdrücklich vor der Methode „Aussageverweigerung wegen Selbstbelastung“! Eine Ausnahme stellt der Fall dar, wenn du Zeug*in und (Mit-)beschuldigte*r im selben Verfahren bist. Dann kannst du ohne Begründung die Aussage nach §55 verweigern.
Das war ein Auszug aus einer Broschüre der Roten Hilfe. Wir werden Auszüge aus weiteren Broschüren der RH hochladen, lest euch aber auf jeden Fall diese Broschüre durch.