Einführung in den Anarchoindividualismus

1.Überlick

Anarchoindividualismus oder auch nicht-kommunistischer Anarchismus, ist eine der Hauptströmungen des Anarchismus. Über die Existenz von verschiedenen Strömungen oder Kommunismus vs. Individualismus lässt sich streiten. So ist doch im Anarchismus ein Fokus auf die Freie Entfaltung der Individuen schon angelegt und die Freiheit für alle Individuen prinzipiell nichts anderes als Kommunismus. Dennoch macht es zur Beschreibung bestimmter Positionen Sinn diesen Begriff zu nutzen, da sie sich enorm von klassischen Sozialanarchistischen Gruppen abgrenzen.

Zur selben Zeit wie die frühsozialistischen Ideen und damit auch der Anarchismus entstand ein auf das Individuum fokussierter Strang. Dieser war am Anfand vorallem fokussiert auf die Einschränkung des Individuums und dessen alltäglichem Wirtschaftens durch den Staat. Das Sprektrum ist aber sehr divers. Es gibt neben den (nicht selten antikapitalistischen) Befürworter*innen von staatsfreien Märkten einen ebenso großen Strang an Anarchoindividualist*innen, für die Märkte und ganz besonders Kapitalismus (bzw. jede Form von Herrschaft) eine Unterdrückung ihrer Freiheit darstellt. Für sie besteht der Fokus auf das Individuum vorallem darin, dass sich im Hier und Jetzt befreit werden sollte oder dies zumindest fokussiert wird, statt auf den messianischen Kommunismus zu warten.

Die Relevanz dieses Sprektrums kann historisch nachvollzogen werden. Da sind besonders frühe Vertreter wie Benjamin Tucker zu nennen. Später fanden die Theorie vorallem bei Illegalistischen und Aufständigen bzw. Nihilistischen Gruppen Anklang. Berühmt sind Bankräuber*innen wie die Bonnot-Gang in Frankreich oder Vassilis Paleokostas in Griechenland. Grade das aufständige bzw. nihilistische Milieu im Anarchismus beruft sich stark auf individualistische Positionen, sei es der italienische Poet und Nihilist Renzo Novatore oder die griechische, bewaffnete Guerilla Gruppe „Verschwörung der Feuerzellen“. Sie alle betonen dem Kampf für die eigene Freiheit gegenüber einem vermeintlichen Kollektiv, wie der Gesellschft oder dem Proletariat.

Mit den Schriften Stirners (teils aus Leipzig) im 19. Jahrhundert, wurde die ebenfalls berechtigte aber doch recht wenig befreiende Theorie des „radikalen Liberalismus“ (Fokus auf Abschaffung des Staates, statt anderen Zwängen, sonst liberales Freiheitsverständnis) revolutioniert. Da die Werke in einem unverständlichen philosophischen Sprachstil geschrieben und daher schwer zu lesen sind, wollen wir die Grundsätzliche Theorie hier erklären

2.Einfluss

Diese neue Theorie ist deutlich grundlegender und war wichtig für die Entwicklung des modernen anarchistischen Denkens, insbesondere des egoistischen Anarchismus.

Ebenfalls war er für viele soziale Anarchisten wie die Anarcha-Feministin Emma Goldman einflussreich.

Ein früher homosexueller Aktivist, der von Stirner beeinflusst wurde, war John Henry Mackay.

Zu den von Stirner beeinflussten Feministinnen gehören neben Emma Goldman, auch Dora Marsden, die die Zeitschriften The Freewoman, The New Freewoman und The Egoist gründete.

Stirner beeinflusste auch den Propagandisten der freien Liebe und der Polyamorie, Émile Armand, im Kontext des französischen individualistischen Anarchismus des frühen 20. Jahrhunderts, der bekannt ist für “den Aufruf zur Freikörperkultur, die nachdrückliche Verteidigung von Methoden der Geburtenkontrolle, die Idee von “Vereinigungen von Egoisten” mit der alleinigen Rechtfertigung von Sexualpraktiken

Im amerikanischen individualistischen Anarchismus fand er Anhänger bei Benjamin Tucker und seiner Zeitschrift Liberty, die die Positionen der Naturrechte zugunsten des Egoismus aufgaben.

In den 1970er Jahren veröffentlichte ein amerikanisches situationistisches Kollektiv namens For Ourselves ein Buch mit dem Titel The Right To Be Greedy: Theses On The Practical Necessity Of Demanding Everything (Thesen zur praktischen Notwendigkeit, alles zu fordern), in dem sie für einen “kommunistischen Egoismus” plädieren und sich dabei auf Stirner berufen.

Später entstand in den Vereinigten Staaten die Tendenz der post-linken Anarchie. Bob Black und Feral Faun/Wolfi Landstreicher halten sich stark an den stirneristischen Egoismus. In der Mischform von Poststrukturalismus und Anarchismus, die als Postanarchismus bezeichnet wird, hat Saul Newman über Stirner und seine Ähnlichkeiten zum Poststrukturalismus geschrieben. Auch der aufständische Anarchismus hat eine wichtige Beziehung zu Stirner, wie aus den Arbeiten von Wolfi Landstreicher und Alfredo Bonanno hervorgeht.

viele in der anarchistischen Bewegung in Glasgow, die Stirners ‘Union der Egoisten’ wörtlich als Grundlage für ihre anarcho-syndikalistische Organisierung in den 1940er Jahren und darüber hinaus nahmen

3.Philosophie

Stirners Egoismus vertritt die Auffassung, dass es unmöglich ist, den Einzelnen vollständig zu verstehen, da kein Verständnis des Selbst die Fülle der Erfahrung angemessen beschreiben kann

Im Gegensatz zu dem von allgemein geläufigem Egoismus ging es Stirner nicht um individuelles Eigeninteresse, Eigensinnigkeit oder Vorschriften, wie man handeln sollte. Er forderte den Einzelnen auf, selbst zu entscheiden und seinen eigenen Egoismus zu verwirklichen

Er glaubte, dass jeder Mensch von seinem eigenen Egoismus und seinen Wünschen angetrieben wird und dass diejenigen, die dies akzeptieren – als willige Egoisten – ihre individuellen Wünsche frei ausleben können, während diejenigen, die dies nicht tun – als unwillige Egoisten – fälschlicherweise glauben, dass sie eine andere Sache erfüllen, während sie insgeheim ihre eigenen Wünsche nach Glück und Sicherheit erfüllen. Der willige Egoist würde sehen, dass er frei handeln kann, ungebunden vom Gehorsam gegenüber heiligen, aber künstlichen Wahrheiten wie Gesetz, Recht, Moral und Religion.

Macht ist die Methode des Stirnerschen Egoismus und die einzig gerechtfertigte Methode zur Erlangung philosophischen Eigentums. Er glaubte nicht an das natürliche Recht auf Eigentum und ermutigte zum Aufstand gegen alle Formen der Autorität, einschließlich der Missachtung des Eigentums.

Philosphisches Eigentum bedeutet in dem Fall soviel wie alles worüber man in irgendeiner Weise Kontrolle hat und damit das Recht zu verfügen, da Recht philosophisch nichts anderes als Machtanspruch ist. Damit ist nicht unebdingt nur physische Besitztümer gemeint, sondern alles was dein Individuum ausmacht. Alle Ideen, Bedürfnisse, Vorlieben, Weltanschauungen, körperliche und geistige Unverehrtheit, usw.

Macht meint in dem Fall auch nicht die sehr bildliche physische Fähigkeit zur Gewalt, sondern die generelle Fähigkeit dein philosophisches Eigentum zu beschützen sei es durch individuelle Fähigkeit oder Stärke des freiwilligen Kollektivs

Stirner vertrat die Auffassung, dass die meisten allgemein akzeptierten sozialen Institutionen – einschließlich der Idee des Staates, des Eigentums als Recht, der natürlichen Rechte im Allgemeinen und des Begriffs der Gesellschaft selbst – bloße Illusionen, “Gespenster” oder Gespenster im Kopf seien[30]. Er befürwortete den Egoismus und eine Form des Amoralismus, bei dem sich die Individuen nur dann in Verbänden von Egoisten zusammenschließen, wenn dies in ihrem eigenen Interesse liegt. Für ihn entsteht Eigentum einfach durch Macht, wie er sagte: “Wer die Sache zu nehmen und zu verteidigen weiß, dem gehört sie [das Eigentum].

4.Kommunismus

Stirner akzeptiert viele der Prämissen des Kommunismus, aber mit der folgenden Einschränkung: Das Bekenntnis zum kommunistischen Glauben ist ein erster Schritt zur totalen Emanzipation der Opfer unserer Gesellschaft, aber sie werden erst dann vollständig ‘entfremdet’ und wirklich in der Lage sein, ihre Individualität zu entwickeln, wenn sie über den Kommunismus hinausgehen.

5.Revolution und Aufstand

Stirner kritisiert die konventionellen Vorstellungen von Revolution und argumentiert, dass soziale Bewegungen, die darauf abzielen, etablierte Ideale zu stürzen, stillschweigend idealistisch sind, da sie implizit auf die Errichtung eines neuen Ideals in der Folgezeit ausgerichtet sind. “Revolution und Aufstand dürfen nicht als Synonyme betrachtet werden. Die Revolution besteht in einer Umwälzung der Verhältnisse, des etablierten Zustands oder Status, des Staates oder der Gesellschaft, und ist dementsprechend ein politischer oder sozialer Akt

Der Aufstand hat zwar als unvermeidliche Folge eine Veränderung der Verhältnisse, geht aber nicht davon aus, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich selbst, ist kein bewaffneter Aufstand, sondern ein Aufstand von Individuen, ein Aufstehen, ohne Rücksicht auf die Arrangements, die ihr entspringen.

Die Revolution zielte auf neue Ordnungen; der Aufstand führt uns dazu, uns nicht mehr ordnen zu lassen, sondern uns selbst zu ordnen, und setzt keine glanzvollen Hoffnungen auf “Institutionen”. Es ist kein Kampf gegen das Bestehende, denn wenn es gedeiht, bricht das Bestehende von selbst zusammen; es ist nur ein Herausarbeiten von mir aus dem Bestehenden. Wenn ich das Etablierte verlasse, ist es tot und geht in den Verfall über.

6.Union der Egoist*innen

Stirners Idee der Union der Egoisten wird als nicht-systematischer Zusammenschluss verstanden, den Stirner im Gegensatz zum Staat vorschlug.

Im Gegensatz zu einer “Gemeinschaft”, an der die Individuen verpflichtet sind, teilzunehmen, wäre der von Stirner vorgeschlagene Bund ein freiwilliger und instrumenteller Zusammenschluss, bei dem die Individuen sich frei zusammenschließen, sofern die anderen innerhalb des Bundes für jedes konstituierende Individuum nützlich bleiben. [Die Beziehung zwischen Egoisten in der Union wird durch die Unterstützung aller Parteien durch einen Willensakt ständig erneuert.

Einige argumentieren, dass die Union konkrete Gruppierungen sind, die Teilnahme aller Parteien aus einem bewussten Egoismus heraus erfordert, während andere die Union als einen “Gesinnungswandel” betrachten und ihre vorherige Konzeption als Institution ablehnen und keine freiwilligen konreten Gruppen gründen, sondern dass leben einfach spontan, dezentral organisiert wird.