Kropotkin – Die historische Rolle des Staates
Hallo ihr Lieben,
Wie ihr wisst, hat unsere Vernetzung mehrere Ziele. Hauptsächlich: 1. Die Koordinierung unterschiedlicher anarchistischer Aktivitäten (beispielsweise zur Organisierung anarchistischer Blöcke und Demos). 2. Wollen wir ein Anlaufpunkt und Informationspool für unorganisierte Menschen sein. 3. Wollen wir widerständiges Wissen weitervermitteln. Alles sind Punkte, die uns in der antiautoritären Bewegung zu kurz kommen, insbesondere die Wissensvermittlung. Wir machen daher heute einen Klassiker der anarchistischen Theorie endlich online zugänglich: Kropotkin – Der Staat und seine historische Rolle.
Wir veröffentlichen ihn aus verschiedenen Gründen. Oft ist in der anarchistischen und autonomen Szene kein fundiertes Theoriewissen vorhanden, sondern nur einige wenige Spezialist*innen erzählen oft unverständliches akademisches Zeug. Oft haben Bürgis als auch Kommunist*innen recht, wenn sie sagen, dass wir nicht lesen. Viele haben kaum mehr als ein paar Broschüren und Zeitschriften im Schrank, aber keine anarchistischen Klassiker. Viele wissen gar nicht, wogegen wir genau kämpfen, geschweige denn wofür. Viele Autonome und Anarchos können daher nicht genau sagen, warum sie den Staat ablehnen. Sie hassen Bullen oftmals nur weil diese zu doll prügeln oder wieder einmal rassistische „Einzelfälle“ bekannt geworden sind. Als wenn mehr SPDler in Uniform das Problem lösen würden. Oft laufen wir daher auf Demonstrationen marxistischen Phrasen hinter, wonach der Staat nur schlecht sei, weil er der „Staat der Reichen“ ist.1
Die anarcho-individualistische Erkenntnis stimmt, wir hassen den Staat, weil er unser eigenes Leben einschränkt. Viele Anarchist*innen haben schon eine ungefähre Ahnung, warum der Staat schlecht ist, können dies in Diskussionen aber kaum ausdrücken. Wir glauben daher, dass wir eine tiefergehende Beschäftigung mit der Definition und Bestimmung des Staates brauchen, um andere Menschen zu überzeugen. Theorie kann helfen, um Überzeugungen zu festigen und Menschen dadurch länger an anarchistische Ideen zu binden. Sie hilft, sich nicht so schnell von seiner Meinung abbringen zu lassen und stattdessen eine fundierte Meinung zu entwickeln. Ein Wissen über staatliche Strukturen ist auch notwendig, damit wir selbst keine staatsähnlichen Strukturen entwickeln. Theorie ist wichtig, um aus der Geschichte zu lernen und alte Fehler nicht zu wiederholen.
Das Problem sind aber nicht die Menschen, die noch keine Ahnung von Theorie haben. Sondern, dass wir es nicht schaffen unser Wissen zu vermitteln. Unsere Texte sind oft unverständlich und unsere Sprache abgehoben und mit Szene Wörtern codiert. Unsere Theorie ist oft veraltet und nicht mehr verständlich. Das wir also einen 100 Jahre alten Text veröffentlichen, ist eigentlich auch ein Armutszeugnis.
Aber um aber neue Analysen zu formulieren, ist es wichtig nicht hinter alte Erkenntnisse zurückzufallen. Wir werden daher in der Folgezeit ein paar Klassiker zur anarchistischer Staatskritik veröffentlichen. Wir wollen damit einen Leitfaden erstellen, um Menschen auf einem Blick wichtige anarchistische Theorien näherzubringen. In der Vermittlung von Theorie anhand übersichtlicher und schnell zugänglicher Leitfäden, sind uns Kommunist*innen schon weit vorraus. (Es ist natürlich für Dogmatiker*innen auch einfacher, da es schon klar ist auf welche Autoritäten sich geeinigt wurde.) Es ist eine Schande, dass alle Texte von Marx, Lenin und Stalin offen im Netz zugänglich sind, im Gegensatz zu anarchistischen Klassikern.
Zu Kropotkin – Die historische Rolle des Staates (1896): Eigentlich können wir Kropotkin auch nicht uneingeschränkt empfehlen. Kropotkin hat eine sehr einseitige Betrachtung der Menschen als „Gut“ und daraus folgend eine sehr unkritische Betrachtung des „Naturzustandes“. Neue poststrukturalistische Ansätze haben berechtigt kritisiert, dass der Mensch weder „gut“ noch „böse“ ist, sondern sowohl egoistisch als auch sozial und es auf die gesellschaftlichen Umstände ankommt wie er lebt und sozialisiert wird. Genauso ist die Geschichtsbetrachtung von Kropotkin sehr einseitig. Heute wissen wir, dass die Geschichte nicht nur eine Abfolge von Klassenkämpfen ist oder durch den Kampf von Zwang und Freiheit bestimmt wird. Es gibt viele verschiedene und allesamt berechtigte Betrachtungsweisen der Geschichte unter den Gesichtspunkten Rassismus, Patriarchat, Ausbeutung, Staatsentwicklung und so weiter. Geschichte wird durch all diese Faktoren bestimmt und ist nicht monokausal erklärbar. Trotzdem halten wir Kropotkin Geschichtsbetrachtung für wertvoll, da das Wissen über die Kommunenrevolution im 12. Jahrhundert und eine Kritik der römischen Staatsidee kaum in der radikalen Linken verbreitet ist. Die Entwicklung von staatlicher Zentralisation und gegenseitiger Hilfe in Dorfgemeinschaften und freien Vereinbarungen bestimmt maßgeblich die Geschichte.
Für die Freiheit!
Gruppen gegen Kapital und Nation: „Kritik am Anarchismus“, 08.06.2001. unter: https://gegen-kapital-und-nation.org/kritik-am-anarchismus/